Die Bau­auf­ga­ben von morgen

Bis in die spä­ten 70er und 80er Jah­re hin­ein küm­mer­ten sich Archi­tek­ten um den Neu­bau und deck­ten als Gene­ra­lis­ten die Leis­tungs­pha­sen 1 bis 9 ab. Bau­in­ge­nieu­re hin­ge­gen waren für die Pla­nung, Kon­struk­ti­on, Berech­nung und Her­stel­lung von Inge­nieur­bau­wer­ken zustän­dig. Heu­te wird die Zukunft anders gebaut.

Frü­her war’s ein­fa­cher: Bis in die spä­ten 70er und 80er Jah­re hin­ein küm­mer­ten sich Archi­tek­ten um den Neu­bau und deck­ten als Gene­ra­lis­ten die Leis­tungs­pha­sen 1 bis 9 ab. Bau­in­ge­nieu­re hin­ge­gen waren für die Pla­nung, Kon­struk­ti­on, Berech­nung und Her­stel­lung von Inge­nieur­bau­wer­ken zustän­dig. Heu­te wird die Zukunft anders gebaut.

Mit­te der 80er Jah­re hat sich der Markt für Archi­tek­ten und Bau­in­ge­nieu­re gewan­delt, die Auf­ga­ben ver­misch­ten sich mehr und mehr. „Frü­her haben Bau­un­ter­neh­men gebaut“, erklärt Kars­ten Wisch­hof, Geschäfts­füh­rer­der Initia­ti­ve „Deutsch­land baut!“, „heu­te ent­wi­ckeln Bau­un­ter­neh­men Pro­jek­te. Der gesam­te Lebens­zy­klus eines Bau­wer­kes rückt mehr und mehr in das Geschäfts­feld eines Bau­un­ter­neh­mens und damit in das Auf­ga­ben­spek­trum der Fach­kräf­te, die in die­ser Bran­che arbeiten.“

Für Berufs­ein­stei­ger ist es daher wich­tig, sich nicht nur tech­ni­sches Wis­sen, son­dern auch Grund­la­gen der Betriebs­wirt­schaft, Finan­zie­rung und nicht zuletzt der Per­so­nal­füh­rung anzu­eig­nen. „Das tech­ni­sche Niveau von Gebäu­den ist deut­lich gestie­gen“, betont auch Dr. Tho­mas Welter, Geschäfts­füh­rer des BDA (Bund Deut­scher Architekten)-Bundesverbandes. Daher müss­ten Archi­tek­ten und Bau­in­ge­nieu­re viel stär­ker zusam­men­ar­bei­ten. Wäh­rend Archi­tek­ten frü­her finan­zi­el­le Aspek­te beim Bau eher aus­blen­den konn­ten, wird heu­te von ihnen erwar­tet, dass sie den Bau­herrn auch in Sachen Kos­ten­kon­trol­le, Qua­li­täts­si­che­rung, Finan­zie­rungs­si­cher­heit und finan­zi­el­le För­de­rung beraten.

Welter sieht vie­le Ein­stei­ger auf dem Holz­weg, wenn sie das Ziel ver­fol­gen, Gestal­tungs- bezie­hungs­wei­se Ent­wurfs­ar­chi­tekt zu wer­den. Da liegt es nahe, in einer Ent­wurfs­ab­tei­lung anzu­fan­gen. „Davon rate ich ab. Der Bereich Entwurf/Gestaltung ist hoff­nungs­los über­füllt und jun­ge Leu­te wer­den hier häu­fig regel­recht ‚ver­heizt‘. Mei­nes Erach­tens ist es klü­ger, früh­zei­tig Erfah­run­gen in der Bau­lei­tung zu sam­meln.“ Bau­er­fah­re­ne Archi­tek­ten, die sich mit Ver­ga­be­ver­fah­ren und Detail­pla­nung aus­ken­nen, wer­den gesucht und ver­die­nen ein Vier­tel bis ein Drit­tel mehr als ihre Kol­le­gen, die kei­ne Bau­erfah­rung vor­wei­sen können.

Alles ein­fa­cher mit BIM?

Ein wich­ti­ger neu­er Trend für das Bau­en in der Zukunft ist das Buil­ding Infor­ma­ti­on Mode­ling (BIM), das in Deutsch­land aller­dings noch mit recht viel Skep­sis betrach­tet wird. Nach Ergeb­nis­sen des Archi­tek­tur-Baro­me­ters von Arch-Visi­on, für das 1.600 Archi­tek­ten in acht euro­päi­schen Län­dern zum The­ma BIM befragt wur­den, wen­den hier­zu­lan­de nur 15 Pro­zent der Pla­ner BIM an. 40 Pro­zent wol­len mit dem neu­ar­ti­gen Pla­nungs­in­stru­ment nichts zu tun haben, der Rest erwägt eine Ein­füh­rung. Unse­re euro­päi­schen Nach­barn sind dies­be­züg­lich deut­lich wei­ter als wir: 56 Pro­zent der nie­der­län­di­schen Archi­tek­ten nut­zen BIM, gefolgt von den Bri­ten mit 36 Pro­zent. 

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der deut­schen Pla­ner nut­zen das Buil­ding Infor­ma­ti­on Mode­ling (BIM). Ab 2020 ist das Pla­nen und Bau­en mit BIM für Infra­struk­tur­pro­jek­te in Deutsch­land verbindlich.

Die einen sehen BIM als gro­ße Chan­ce, um am Bau Kos­ten und Zeit zu spa­ren sowie Pla­nungs­feh­ler zu ver­mei­den. Ande­re fürch­ten die Abhän­gig­keit von einem Sys­tem, das sich kaum durch­schau­en lässt. Tat­säch­lich wird BIM bis­her nur bei Groß­pro­jek­ten ein­ge­setzt. Hin­ter dem Begriff, den es im Übri­gen auch für den Tief­bau gibt, steckt eine soft­ware­ba­sier­te Metho­de zur Pla­nung, Aus­füh­rung und Bewirt­schaf­tung von Gebäu­den und ande­ren Inge­nieur­bau­wer­ken. Anders als ein CAD- oder Aus­schrei­bungs­pro­gramm ist es sehr auf­wen­dig, ein BIM-Sys­tem im Büro zu eta­blie­ren, weil es eine Ket­te an Pro­zes­sen steu­ert und nicht nur einen Arbeits­schritt berührt. Bis­her sind Ände­run­gen der Pla­nung mit einem hohen Auf­wand ver­bun­den, es müs­sen die Zeich­nun­gen sowie die Men­gen­er­mitt­lung ange­gli­chen und alle am Bau Betei­lig­ten mit aktua­li­sier­ten Zeich­nun­gen ver­sorgt werden.

Mit BIM kann der Auf­wand deut­lich redu­ziert wer­den, da alle Betei­lig­ten Zugriff auf ein Daten­pa­ket mit aktu­el­len Plä­nen, Mas­sen und Stück­zah­len haben. Bei­spiels­wei­se kann sich auf­grund von Ände­run­gen im Grund­riss die Zahl und Beschrei­bung der Türen in einem Gebäu­de ändern. Mit BIM kön­nen die Türen im vir­tu­el­len Gebäu­de­mo­dell ein­fach kor­ri­giert wer­den, gleich­zei­tig ändern sich auto­ma­tisch die Stück­lis­ten; bei ent­spre­chen­der Ver­knüp­fung wer­den auch die unmit­tel­ba­ren Aus­wir­kun­gen auf die Kos­ten sichtbar.

Bran­chen­ex­per­ten sind sich einig, dass BIM kom­men wird – ob wir wol­len oder nicht. Da ist es bes­ser, sich schon gleich zu Anfang des Berufs­le­bens über Chan­cen und Risi­ken die­ses Sys­tems zu infor­mie­ren. Es ist nichts wei­ter als ein Hilfs­mit­tel. Den­ken, Pla­nen und Kal­ku­lie­ren blei­ben wei­ter­hin den Pla­nern vor­be­hal­ten. 

Die Zukunft bauen

Es gibt drei gro­ße Her­aus­for­de­run­gen, denen sich Archi­tek­ten und Bau­in­ge­nieu­re in der Zukunft stel­len müs­sen: den demo­gra­fi­schen Wan­del, den Kli­ma­wan­del und den tech­ni­schen Fort­schritt. Trotz Bevöl­ke­rungs­schwund in Deutsch­land steigt der­zeit die Zahl der Haus­hal­te, beson­ders die Sin­gle-Haus­hal­te neh­men zu. Dem­entspre­chend steigt die Nach­fra­ge nach Wohn­im­mo­bi­li­en. Aller­dings wird sich die­ser Zustand bald ändern. Archi­tek­ten müs­sen sich dar­auf ein­stel­len, dass die Anzahl der Haus­hal­te abneh­men wird. Der Immo­bi­li­en­markt wird stark unter Druck gera­ten, die Kun­den wer­den anspruchs­vol­ler. Um dem Druck stand­zu­hal­ten, müs­sen sich Archi­tek­ten stär­ker spezialisieren.

Für Fami­li­en mit Kin­dern zu bau­en, ist bei­spiels­wei­se etwas ande­res als für älte­re Men­schen. 70-Jäh­ri­ge sind heut­zu­ta­ge fit, aber sie brau­chen Gebäu­de mit weni­ger Trep­pen. Bar­rie­re­frei­es Bau­en wird immer wich­ti­ger. Der Kli­ma­wan­del als zwei­te wich­ti­ge Her­aus­for­de­rung stellt Bau­fach­kräf­te vor die Auf­ga­be, ener­gie­ef­fi­zi­ent und nach­hal­tig zu bau­en. Ener­gie­op­ti­mier­te und res­sour­cen­scho­nen­de Gebäu­de las­sen sich lang­fris­tig deut­lich bes­ser ver­kau­fen. Nicht zu ver­ges­sen ist, dass Gebäu­de irgend­wann auch wie­der abge­ris­sen wer­den. Die Bedeu­tung recy­cle­fä­hi­ger Bau­stof­fe wird zunehmen.

Die drit­te wich­ti­ge Auf­ga­be besteht dar­in, mit der tech­ni­schen Ent­wick­lung Schritt zu hal­ten. Jedes Jahr kommt eine Viel­zahl neu­er Pro­duk­te für das Pla­nen und Bau­en auf den Markt, da muss man sich aus­ken­nen. Es reicht nicht aus, sich auf das Fach­wis­sen von Bau­un­ter­neh­men und Bau­zu­lie­fe­rern zu ver­las­sen; auf die­se Wei­se ver­passt man den tech­ni­schen Fort­schritt. Daher sind Fort­bil­dung und lebens­lan­ges Ler­nen unge­heu­er wichtig.

Spe­zia­lis­ten oder Generalist?

Mit dem Start ins Berufs­le­ben ist die Zeit für die Spe­zia­li­sie­rung gekom­men. Um bei­spiels­wei­se Off­shore-Parks in der Nord­see oder Ähn­li­ches zu rea­li­sie­ren, sind ent­spre­chen­de Fun­da­men­te erfor­der­lich. Die­se Fun­da­men­te haben tech­nisch einen sehr hohen Anspruch; dafür wer­den Spe­zia­lis­ten gebraucht, die sich mit die­sem Detail­the­ma „Grün­dung bei Off­shore-Parks“ aus­ken­nen. Das Glei­che gilt für den Bereich Ener­gie­ef­fi­zi­enz, wenn es dar­um geht, ein Haus ener­ge­tisch ver­nünf­tig zu sanie­ren oder zu moder­ni­sie­ren. Ande­rer­seits ist aber auch der Gene­ra­list gefragt, der in der Lage ist, mit sei­ner Arbeit dem Bau­herrn eine Pro­blem­lö­sung aus einer Hand anzu­bie­ten. „Man muss sich spe­zia­li­sie­ren, ohne ein Fach­idi­ot zu wer­den“, fasst Tho­mas Welter zusam­men. Die star­ke Spe­zia­li­sie­rung wäh­rend der Aus­bil­dung sieht er kri­tisch. „Es gibt immer exo­ti­sche­re Abschlüs­se und Ver­tie­fungs­rich­tun­gen. Mei­nes Erach­tens ist das zu früh.“ Es sei wich­tig, sich im Stu­di­um noch rela­tiv breit auf­zu­stel­len und die klas­si­schen Berei­che der Archi­tek­tur zu stu­die­ren. Pla­nungs­kom­pe­tenz müs­se natür­lich erwor­ben wer­den. „Inso­fern mein Rat an Berufs­an­fän­ger: Kon­zen­triert euch auf eure Stär­ken und rich­tet danach eure Spe­zia­li­sie­rung aus – aber erst nach der Ausbildung.“

Erwar­tun­gen der Arbeitgeber

Arbeit­ge­ber erwar­ten, dass Bau­in­ge­nieu­re und Archi­tek­ten, gera­de wenn sie in der aus­füh­ren­den Wirt­schaft tätig sind, eine gewis­se Pra­xis­ori­en­tie­rung haben. Das heißt, es ist wich­tig, Prak­ti­ka, zum Bei­spiel auf den Bau­stel­len, zu machen, um zu erfah­ren, wie Theo­rie und Pra­xis sich ver­zah­nen. Wei­ter­hin erwar­ten Bau­un­ter­neh­men natür­lich ein gewis­ses sozia­les Gespür – Sozi­al­kom­pe­tenz ist die Umschrei­bung –, gera­de weil jun­ge Bau­in­ge­nieu­re und Archi­tek­ten mit Füh­rungs­auf­ga­ben betraut wer­den. Sie müs­sen auf der Bau­stel­le Teams füh­ren, damit die Umset­zung der Pla­nung in hand­werk­li­che und inge­nieur­tech­ni­sche Leis­tun­gen gelingt. Man braucht schon ein gewis­ses Fee­ling dafür, wie man mit Men­schen umgeht.

Wäh­rend der Aus­bil­dung kommt das The­ma Kom­mu­ni­ka­ti­on viel zu kurz. „Wie kom­mu­ni­zie­re ich ziel­grup­pen­ori­en­tiert?“ ist eine wich­ti­ge Fra­ge, mit der sich Berufs­an­fän­ger beschäf­ti­gen soll­ten. Das Gespräch mit dem Bau­herrn ver­läuft anders als mit Tech­ni­kern, Kol­le­gen oder mit der Öffent­lich­keit. Eine Stadt­teil­sa­nie­rung fin­det immer unter Betei­li­gung der Öffent­lich­keit statt.

Es kommt oft vor, dass Pro­jek­te wegen Kom­mu­ni­ka­ti­ons­feh­lern abge­lehnt wer­den, weil der Pla­ner nicht in der Lage war, die Öffent­lich­keit zu über­zeu­gen. Auch in Sachen Betriebs­wirt­schaft hat die Berufs­grup­pe erheb­li­che Defi­zi­te. „Nicht ein­mal die Hälf­te der Archi­tek­tur­bü­ros führt Stun­den­pro­to­kol­le und über­prüft, ob der Auf­wand eines Pro­jek­tes durch das Hono­rar gedeckt ist“, berich­tet Welter. „Wie muss ich ein Pro­jekt anbie­ten, damit ich über­haupt aus­kömm­lich arbei­ten kann?“ Die­se Fra­ge wer­de viel zu sel­ten gestellt.

Eben­so wich­tig ist natür­lich Enga­ge­ment. „So einen Beruf kön­nen Sie nur erfolg­reich aus­üben, wenn Sie auch wirk­lich Freu­de dar­an haben, weil man tag­täg­lich vor neu­en Auf­ga­ben steht und die­se Auf­ga­ben auch als Her­aus­for­de­rung sehen muss und nicht als Belas­tung“, sagt Wisch­hof. „Das ist kein Job, den man ‚neben­bei‘ macht, der hat schon eine gewis­se Form von Beru­fung, im wahrs­ten Sin­ne des Wor­tes, und da sind Enga­ge­ment und der Wil­le, mit­zu­ge­stal­ten, ganz wesent­lich.“ (Ute Schroeter)

Aktua­li­siert am: 2. März 2022

Hea­der­gra­fik: Meritt Tho­mas / Unsplash