Mit Vorsatz zur Tat schreiten
Ein Buch schreiben oder ein Unternehmen gründen, gesünder leben oder mehr lesen. Wir nehmen uns immer mal wieder was vor, nicht nur zum neuen Jahr. Doch die Statistik ist ernüchternd: Nur 20 % der Befragten einer Statista-Studie halten einmal Vorgenommenes durch, sogar nur 8 % setzen ihre Neujahrsvorsätze dauerhaft um. Worin liegt ihr Trick?
Von Ute Schroeter
Da kann man schon ein bisschen neidisch werden auf diese Minderheit, die morgens beim ersten Weckerklingeln aus dem Bett springt, die wie von selbst in ihre Joggingschuhe gleitet und auch bei Minustemperaturen locker im Park ihre Runden dreht. Warum will das bei uns Normalos einfach nicht klappen? Unser knotenbehafteter Schnürsenkel hindert uns daran, in die Schuhe reinzukommen, wenn wir gerade los wollen, und irgendjemand, bestimmt der fiese Nachbar, drückt immer wieder die Schlummertaste. Dabei nehmen wir uns stets pünktlich zum neuen Jahr Dinge vor, die wir schaffen wollen: endlich das Projekt zu Ende bringen, endlich die Steuererklärung abgeben, endlich mehr Zeit für sich selbst haben.
Die große Macht unserer Gewohnheiten
Der Mensch ist das Ergebnis seiner Gewohnheiten: Muskelmasse oder Fett auf den Hüften – beides schleicht sich an, um dann plötzlich da zu sein. Die Kette unserer Gewohnheiten in Form von Sport, Bewegung und Kraftübungen mündet in einem gesunden, wohlgeformten Körper und einem wachen Geist, regelmäßige und disziplinierte Chips- und Schweinsbraten-Einheiten vor dem Fernsehen bewirken das Gegenteil. Gewohnheiten haben eine unheimliche Macht. Mit besseren Gewohnheiten ist alles möglich, mit schlechten aber auch.
Entscheidend ist die Regelmäßigkeit des Tuns: Sie machen aus einem kleinen Menschlein, das mit nichts weiter als der Fähigkeit, zu schreien, wenn es Hunger hat, auf die Welt kommt, irgendwann eine große, starke Person, die laufen, sprechen, tanzen und die Welt verändern kann, im positiven, doch leider auch im negativen Sinne. Und all das nur, weil das Menschlein unermüdlich wieder aufsteht, wenn es hinfällt, bis die Technik sitzt, es immer wieder Worte zu formen versucht, bis kein Kauderwelsch mehr dabei herauskommt.
Auch die Menschwerdung hatte ihren Preis, die Währung heißt Zeit. Die Menschen gingen nicht immer aufrecht. Aber irgendwann hat es sich als Vorteil herausgestellt, auf zwei Beinen zu laufen. Menschen, die das taten, haben länger überlebt, konnten sich besser um ihre Kinder kümmern, die auch wiederum überlebt haben. So hat sich das durchgesetzt. Über viele, viele Jahre hinweg. Nichts kam „einfach so“ auf die Welt und war direkt, wie es heute ist. Wenn wir uns also zum wiederholten Male fragen, warum wir unsere Träume und Ziele nicht erreichen, obwohl wir es doch so sehr wollen, sollten wir vielleicht mal an den Schrauben unserer Gewohnheiten drehen.

Zum neuen Jahr nehmen sich viele Menschen vor, ihre Gewohnheiten zum Besseren zu verändern. Den meisten gelingt das nicht.
Schweinehund und Komfortzone: Die Gegenspieler der guten Gewohnheiten
„Ziele sind dafür da, um das Spiel zu gewinnen. Gewohnheiten sind dafür da, um im Spiel zu bleiben“, hat ein schlauer Kopf einmal gesagt. Ein Schreibtisch ist nur dann dauerhaft aufgeräumt, wenn sich der Schreibtischtäter oder die ‑täterin regelmäßig zum Papierwegräumen aufrafft. Wer seine Ziele erreichen will, muss also seine Gewohnheiten ändern. Warum finden wir den Schreibtisch aber trotzdem immer wieder von Aktenstapeln übersät vor? Die Gegenspieler guter Gewohnheiten heißen „Schweinehund“ und „Komfortzone“. Eigentlich sind beide recht freundliche Gestalten, denn sie meinen es gut mit uns. Wir sollen es gemütlich haben und keine schweren Aktenberge schleppen. Daher ist es nur allzu menschlich, dass wir sie mit Ausreden verteidigen. „Ach, das kann ich ja immer noch später machen.“ Oder: „Aufräumen ist reine Zeitverschwendung.“ Schweinehunde und Komfortzonen lassen sich nicht einfach so wegrationalisieren, sie sind da und wedeln mit dem Schwanz oder dem Fernsehsessel. Schließen wir also eine Art Pakt mit ihnen: Wir dürfen gute Gewohnheiten etablieren, dafür dürfen sie uns belohnen.
Jeder Sechste will 2021
umweltbewusster leben
Anteil der Befragten, die folgende Neujahrsvorsätze haben
- Gesünder ernähren 31%
- (Mehr) Sport treiben 30%
- (Mehr) sparen 19%
- Umweltbewusst(er) handeln 16%
- (Mehr) Zeit für Familie und Freunde nehmen 14%
- Regelmäßig(er) zur gesundheitlichen Vorsorge gehen 11%
- Das Rauchen aufgeben / weniger rauchen 8%
- Weniger Alkohol trinken 6%
- Eine/n neue/n Partner/in finden 6%
- Sonstiges 7%
- Ich habe keine Vorsätze fürs neue Jahr 39%
Basis: 2.042 Befragte (ab 18 Jahren) in Deutschland; 7.–9. Dezember 2020; Mehrfachauswahl möglich; Quelle YouGov
Mach’s einfach: Freude am Tun entwickeln
Im Kinderbuch „Momo“ von Michael Ende sagt Beppo der Straßenkehrer zu seiner Freundin Momo: „Es ist so: Manchmal hat man eine sehr lange Straße vor sich. Man denkt, die ist so schrecklich lang; das kann man niemals schaffen, denkt man. Und dann fängt man an, sich zu eilen. Und man eilt sich immer mehr. Und die Straße liegt immer noch vor einem. So darf man es nicht machen. Man darf nie an die ganze Straße auf einmal denken, verstehst du? Man muss nur an den nächsten Schritt denken, an den nächsten Atemzug, an den nächsten Besenstrich. Und immer wieder nur an den nächsten. Dann macht es Freude; das ist wichtig, dann macht man seine Sache gut. Auf einmal merkt man, dass man Schritt für Schritt die ganze Straße gemacht hat.“
Diese Szene zeigt, wie wichtig es ist, Freude an der Regelmäßigkeit zu entwickeln. Wir müssen es uns einfach machen, die Hürden niedrig hängen. Ein Besenstrich ist so leicht, dass man auch gleich noch einen hinterher machen kann. Und noch einen. Und schon sind drei geschafft. Es verhält sich wie mit dem Fällen eines Baumes, der Sie schon lange im Garten stört. Hier haben Sie zwei Möglichkeiten: Die eine ist, sich das Wochenende frei zu nehmen und bis zur Besinnungslosigkeit auf den Baum einzuschlagen, bis er fällt, um sich dann selbst japsend daneben zu legen. Spaß macht so was nicht, aber immerhin ist der Baum weg. Eine andere Möglichkeit wäre, jeden Tag fünf Schläge gegen den Baum zu tätigen. Es wird länger dauern, aber irgendwann wird der Baum fallen. Eine andere Chance hat er nicht. Fünf Schläge gegen den Baum sind in fünf Minuten erledigt. Jacke anziehen, raus gehen und fünfmal hauen. Mit welcher Methode wird sich wohl unser lieber Schweinehund eher anfreunden? Die Antwort dürfte klar sein.
„Wer den Prozess liebt, wird nie unglücklich sein.“
Glück macht Arbeit
Das Geheimnis des Erfolgs heißt also: „Ausdauernde Arbeit – und zwar immer und immer wieder. Jeden Tag. Keine Ausreden.“ Ganz einfach. Jeder Mensch kann das, wenn ihm oder ihr eine Sache Freude bereitet oder wenn es schlichtweg sein muss. Warum geben so viele Menschen trotzdem vorzeitig auf? Der entscheidende Fehler ist: Viele machen ihr Tun abhängig von Ergebnissen. Und darum hören sie auf, bevor die Ergebnisse da sind. Doch wirklich gute Ergebnisse brauchen Zeit.
Das Erfolgserlebnis wird nur kommen, wenn man weitermacht. Stur jeden Tag fünf Besenstriche. Auch die Ansicht „Wenn ich mein Ziel erreiche, bin ich glücklich“ steht vielen im Weg. Wer sein Ziel erreicht hat, ist oft nur kurz glücklich, und wer es gar nicht erreicht, meist unglücklich. Daher lautet ein guter Tipp, sich besser in den Weg, den Prozess zu verlieben, als sich vom eigentlichen Ziel blenden zu lassen. Wer zum Beispiel ein Buch schreiben möchte, sollte nicht von einer gefeierten Lesung mit viel Applaus für das fertige Werk träumen, sondern vom Sitzen am Schreibtisch bei einer Tasse Kaffee, vom schönen Gefühl, das sich ergibt, wenn man wieder ein Kapitel geschafft hat, von der Freiheit, die einem die schreibende Zunft ermöglicht. Wer den Prozess liebt, wird nie unglücklich sein.
Mit Methode zum Ziel
Was will ich, was will ich nicht mehr? Auf den ersten Blick scheint es leicht zu sein, Ziele zu definieren: „Karriere machen“ oder „Reich werden“ zum Beispiel. Unser Gehirn hat den Arbeitsauftrag zwar sofort verstanden, ist mit der Umsetzung jedoch völlig überfordert. Und so wird es aller Voraussicht nach nur beim Wunsch bleiben, der sich immer mal wieder durch unsere Träume schleicht.
Besser ist es, handfeste Ziele zu formulieren und sich dafür Termine zu setzen: „Ich werde bis zum 30. Juni 2021 mindestens fünf Kilo abnehmen und dafür jeden Tag eine halbe Stunde joggen.“ Wenn wir unsere Ziele genau definieren und vor allem terminieren, fällt es uns leichter, uns selbst bei der Erreichung zu überprüfen. Ziele dürfen ehrgeizig sein, müssen aber realistisch bleiben. Andernfalls kommt der Schweinehund um die Ecke und faselt was von ungesunden Anti-Frustrations-Strategien.
Neue Gewohnheiten etablieren
Das will ich machen | Das will ich nicht machen | |
Gesetz 1 |
Mach es offensichtlich (Joggingschuhe bereitstellen) |
Mach es unsichtbar (Zigaretten wegwerfen) |
Gesetz 2 |
Mach es attraktiv (angenehme Arbeitsumgebung) |
Mach es unattraktiv (Rauchen nur bei ‑10 Grad draußen erlaubt) |
Gesetz 3 |
Mach es einfach (Unterlagen bereitlegen, einen komfortablen Zeitpunkt wählen) |
Mach es schwierig / kompliziert (Zigaretten auf dem Dachboden verstecken) |
Gesetz 4 |
Mach es befriedigend (Sternchen im Kalender, Belohnung) |
Mach es unbefriedigend (1 Zigarette = 10 Euro Spende an eine verhasste Organisation) |
Diszipliniert den ersten Schritt gehen
Sich aufraffen, die nötige Disziplin aufwenden und endlich anfangen: Das kostet Kraft. Ein recht einfacher Trick ist die 72-Stunden-Regel. Diese besagt, man solle innerhalb der nächsten drei Tage, nachdem man einen Entschluss für ein hehres Ziel gefasst oder eine unangenehme Aufgabe zu bewältigen hat, beginnen, egal wie klein diese erste Handlung erscheinen mag. Vielleicht ist es nur das Zusammenstellen von Literatur oder ein Telefonat mit einem Experten. Hauptsache anfangen.
Laut Studien soll die Wahrscheinlichkeit des Sich-Aufraffens drastisch sinken, wenn man die 72 Stunden verstreichen lässt. Oft steht uns auch, egal ob beim ersten oder letzten Schritt, unser Perfektionismus im Weg. Ja, natürlich möchte man glänzen und sein Bestes geben. Aber fertig werden hat einen viel höheren Wert, als dem Projekt den letzten Schliff zu verpassen, den 99 % der Menschen ohnehin nicht bemerken.
Hermann Scherer hat viele Bücher über Persönlichkeitsentwicklung geschrieben. Seine Mitarbeiter erhalten häufig die Anweisung: „Ich hätte gerne einen qualitativ schlechten Text in 20 Minuten.“ Das bedeutet, der erste Schritt besteht in einem „dahingerotzten“ Text, der alles andere als Pulitzer-Preis-verdächtig ist. Aber immerhin hat der Chef schon mal ein Ergebnis in der Hand, das im nächsten Schritt verbessert werden kann. Also: Einfach machen. Anfangen. Beginnen.

Die Tiny-Habits-Methode:
Mit Mini-Schritten zum Ziel
Mit der Tiny-Habits-Methode kommen wir zu einem Konzept, das Ihnen konkret helfen kann, gute Vorsätze auch tatsächlich in die Tat umzusetzen. Tiny Habits bedeutet auf Deutsch „kleine Gewohnheiten“. Der Begründer der Methode ist der amerikanische Verhaltenspsychologe B. J. Fogg. Bei ihr geht es darum, mit niedrigschwelligen Veränderungen ins Handeln zu kommen und am Ball zu bleiben.
Da Letzteres die größte Herausforderung ist, werden die neuen Gewohnheiten mit bereits bestehenden kombiniert. Man nennt das einen Trigger, der einen an die neue Gewohnheit erinnert. Die Methode funktioniert wie folgt:
1. Ziel definieren
Was wollen Sie verändern? Mehr Bewegung oder mehr Ruhe für sich? Mehr Obst und Gemüse essen? B. J. Fogg hatte sich vorgenommen, Muskeln aufzubauen.
2. Eine neue Gewohnheit festlegen
Jetzt haben Sie ein Ziel, aber um es zu erreichen, brauchen Sie eine konkrete neue Gewohnheit. Sie sollte Sie wenig Zeit oder Aufwand kosten. Im Falle von B. J. Fogg waren es zwei Liegestütze.
3. Einen Trigger festlegen
Nun suchen Sie eine bestehende Gewohnheit, die Sie mit Ihrem neuen Ziel verbinden. B. J. Fogg machte immer, wenn er von der Toilette kam, seine zwei Liegestütze. Mit der Zeit wurden es mehr Liegestütze, so dass er jeden Tag auf bis zu 50 bis 70 kam und so sein Ziel, Muskeln aufzubauen, erreichte. Was Sie womit kombinieren, bleibt Ihnen überlassen.
Wichtig ist nur, dass es sich ohne Probleme und große Motivation umsetzen lässt. Zum Beispiel: Nachdem ich geduscht habe, mache ich drei Kniebeugen. Nachdem ich morgens die Kaffeemaschine angestellt habe, trinke ich ein Glas Wasser. Nachdem ich im Büro den Computer angeschaltet habe, schließe ich die Augen und mache drei tiefe Atemzüge. Nachdem ich zu Mittag gegessen habe, gehe ich für zehn Minuten an die frische Luft.
4. Sich selbst loben
Sie haben es geschafft und Ihr Glas Wasser getrunken oder Ihre Kniebeugen gemacht? Dann loben Sie sich selbst und klopfen sich innerlich ordentlich auf die Schulter. Das Lob löst ein positives Gefühl aus und hilft dabei, am Ball zu bleiben. Außerdem werden Sie schnell merken, dass Ihnen die neue Gewohnheit gut tut.
5. Durchhalten
Nun müssen Sie durchhalten. Es braucht eine Weile, bis sich eine neue Gewohnheit festgesetzt hat. Mit drei bis vier Wochen muss man rechnen, deshalb sind Trigger und Lob so wichtig, um bei der Stange zu bleiben. Doch dann werde das neue Verhalten zum Automatismus, verspricht B. J. Fogg.
Illustrationen (2): Visual Generation / Adobe Stock