Fachkräfte am Ball halten
Die Architektur- und Baubranche wurde von der Corona-Krise weniger gebeutelt als andere Branchen. Daher ist der Fachkräftemangel in diesem Bereich kaum abgeebbt. Was können Chefs und Arbeitgeberinnen tun, um Top-Personal zu gewinnen und an sich zu binden? Karrierecoach und Führungsexperte Dr. Bernd Slaghuis aus Köln erklärt die Details.
Das Interview führte Ute Schroeter
Herr Dr. Slaghuis, Sie beraten seit vielen Jahren wechselwillige Berufstätige, aber auch die andere Seite: die Führungskräfte. Das Aufspüren kreativer Köpfe in der Bau- und Architekturbranche ist nach wie vor schwierig. Was würden Sie in eine Stellenanzeige reinschreiben, um die Richtigen anzulocken?
Dr. Bernd Slaghuis: Auf so eine Frage habe ich schon lange gewartet, denn ich sehe aufseiten der Bewerberinnen und Bewerber, dass viele mit Stellenausschreibungen gar nichts anfangen können. Oft passt die Beschreibung der Aufgabe nicht zu den Anforderungen oder die Ausschreibung enthält nur allgemeine Floskeln. Erst kürzlich hatte ich einen Klienten hier, der sich auf eine Stelle bewerben wollte, bei der – so schien es – von der Aufgabenstellung her eine Führungskraft gesucht wurde. Aber bei den Anforderungen hieß es: „Sie haben gerade idealerweise Ihr Studium in der Betriebswirtschaftslehre abgeschlossen oder eine vergleichbare Qualifikation, wünschenswert sind ein bis zwei Jahre Berufserfahrung.“ Uns beiden war sofort klar: Irgendwas stimmt da nicht. Entweder die Aufgabenbeschreibung oder die Anforderungen sind falsch. Meinen Erfahrungen nach passiert so etwas oft.
Wie lassen sich Missverständnisse vermeiden?
Ich rate dazu, dass die Beschreibung der Aufgabe ein klares, eindeutiges Bild ergibt, was der- oder diejenige in den nächsten Jahren zu tun hat. Vor allen Dingen finde ich es wichtig, dass sich die personalsuchende Seite genau überlegt, wie die Idealbesetzung aussieht, welche Eigenschaften gebraucht und gewünscht werden. Ich habe manchmal das Gefühl, dass Stellenausschreibungen möglichst allgemein formuliert geschrieben werden, um möglichst viele Bewerbungen zu bekommen. Das geht schon mit der Qualifikation los: Suche ich zwingend jemanden mit Bauingenieurstudium, dann sollte das auch so drinstehen. Wenn ich jemanden mit fünf Jahren Berufserfahrung brauche, weil es um große Projekte geht, ebenso. Das ist mir oft zu schwammig formuliert, da fehlt es an Klarheit, die sich im Übrigen auch die Bewerberseite wünscht. Diesen ganzen Schnickschnack drumherum, nach dem Motto „Sie bekommen von uns die Wasserflatrate und das kostenlose Obst und den Kickertisch“ kann man sich meiner Meinung nach sparen. Das ist cool, doch damit locken Sie heute keine guten Kandidaten mehr an.
Wie oder was sollte man stattdessen schreiben?
Weg von diesen Worthülsen kommen und nicht immer davon ausgehen, dass man dieses oder jenes „so macht“. Mit Floskeln wie „Sie sind teamorientiert, kommunikationsstark und belastbar“ kann niemand etwas anfangen. Lieber schreiben „Es fällt Ihnen leicht, auf Augenhöhe mit Kunden und Kollegen zu kommunizieren“ oder „Sie sind gut darin, technische Dokumente zu verfassen“. So weiß ich, was im Stellengesuch mit „kommunikationsstark“ gemeint ist, bezogen auf die beschriebene Aufgabe.

Die Zufriedenheit des Teams ist im Wesentlichen vom Führungsstil abhängig. Wie würden Sie eine gute Chefin bzw. einen guten Chef beschreiben? Was für ein Typ Mensch ist das, der andere an sich binden kann?
Einen meiner Beiträge habe ich mal mit dem Titel versehen: „Wer führen will, muss Menschen lieben.“ Ich definiere gute Führung vor allem als Management guter Beziehungen. Leider beobachte ich viele Führungskräfte, die meinen, mit ein paar Seminaren und Management-Kursen könne man lernen, wie Führung geht. Ich bin da anderer Meinung. Wer nicht schon echtes Interesse für andere Menschen mitbringt, wird es mit dem Führen schwer haben, wenn nicht sogar kaum in der Lage dazu sein. Ich höre häufig Aussagen wie: „Ich habe einen guten Job gemacht, jahrelang, bin dann irgendwann Teamleiter geworden, aber ganz ehrlich: Meine Leute nerven mich. Eigentlich würde ich lieber wieder an meinen Fachthemen arbeiten.“ Vor diesem Hintergrund kann ein Führungsjob nicht gut gelingen. Eine gute Chefin oder ein guter Manager haben echtes Interesse für die Team-Mitglieder, kennen ihre Stärken und wissen, was dem oder der Einzelnen wichtig ist.
Was ist Ihren Erfahrungen nach Arbeitnehmern und Mitarbeiterinnen wichtig?
Bei meiner Beratungstätigkeit stehen Werte im Mittelpunkt. Daher ist es für alle Führungskräfte ratsam, einen Blick dafür zu entwickeln, was die Menschen, mit denen ich arbeite, als wertvoll empfinden. Manchen ist Freiheit wichtig, Gestaltungsspielräume zu haben oder mitentscheiden zu können. Andere möchten eine Struktur vorgegeben haben, schon morgens um 9 Uhr wissen, was auf sie zukommt, wollen eng geführt werden. Wem sein Team wirklich wichtig ist, sollte solche Bedürfnisse nicht einfach abtun, sondern prüfen, an welchen Stellen Freiheiten gewährt oder andersherum Strukturen vorgeben werden können, sodass beide Seiten gleichermaßen zufrieden sind. Freude und Sinn bei der Arbeit sind extrem wichtig. Viele wünschen sich eine Führungskraft, die auch nach oben hin mal stark sein kann und eben nicht Richtung Top-Management immer wieder einknickt. Das fällt vielen Führungskräften schwer.
Top 10 der Kündigungsgründe
- Zu wenig Wertschätzung durch den Chef 45%
- Zu niedriges Einkommen 40,5%
- Besseres Angebot von anderem Arbeitgeber 38,4%
- Keine Aufstiegsmöglichkeiten 32,5%
- Überlastung durch zu viel psychischen Druck 20,6%
- Unterforderung und Langeweile 19,4%
- Überlastung durch Überstunden 12,8%
- Familiäre Gründe 11,8%
- Dem Unternehmen droht die Pleite 11%
- Gesundheitliche Probleme 4.4%
Quelle: impulse.de
Im Profil
Dr. Bernd Slaghuis

Karriere- und Business-Coach Dr. Bernd Slaghuis ist Experte für berufliche Neuorientierung, Bewerbung auf Augenhöhe sowie gesunde Führung. Als Ökonom und ehemalige Führungskraft kommt er aus der Praxis. In seinem Kölner Büro arbeitet er mit Angestellten an ihren nächsten Schritten im Beruf, mit Bewerbern an einer individuellen Bewerbungsstrategie und mit Führungskräften an einer gesunden Haltung. Sein Blog „Perspektivwechsel“ zählt zu einem der meistgelesenen Karriere-Blogs in Deutschland. Er ist SPIEGEL-Kolumnist, XING Insider und wurde dort als „Top Mind 2020“ ausgezeichnet. Im Herbst ist sein Buch „Besser arbeiten“ bei Haufe Lexware erschienen.
www.bernd-slaghuis.de
Was kann man denn gegen eine hohe Fluktuation tun?
Bei hoher Fluktuation geht häufig noch mehr Druck und Kontrolle von der Führungsebene aus. Das ist menschlich verständlich, denn die Chefs geraten ja selbst unter hohen Stress, wenn Mitarbeiter gehen, denen es nicht mehr gefällt und die mit der Führung nicht zurechtkommen. Doch statt die übrigen Mitarbeiter und sich selbst noch härter zu behandeln wäre es besser auszuloten, was genau zu einer Kündigung geführt hat, ob etwa fehlende Anerkennung oder schlechte Kommunikation im Spiel waren. In den meisten Unternehmen finden solche Kündigungsgespräche jedoch gar nicht statt. „Mitarbeiter gehen, neue Leute kommen“, das ist häufig die Reaktion. Ich bin der Meinung, dass es sich gerade vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels eigentlich kein Unternehmen mehr leisten kann, aufgrund schlechter Führung gute Mitarbeiter zu verlieren.
Was kann denn jemand tun, um sich zu einer guten Führungskraft zu entwickeln?
Führung ist eine Frage von Persönlichkeit und eigener Haltung. Wer sich verbessern möchte, sollte an sich und seinem Mindset Mitarbeitern gegenüber arbeiten. Wer kein Menschenfreund ist, sollte keine Führungsrolle annehmen. Und wie schon gesagt, wer meint, nur einen Schalter umlegen zu müssen, ein Seminar zu besuchen und schon ist man ein guter Chef oder eine gute Chefin, liegt falsch. Es ist ein Prozess der Selbstreflexion und Entwicklung. Jede Führungskraft sollte eine zu sich, der eigenen Persönlichkeit und natürlich zum Team sowie der Unternehmenskultur passende, gesunde Haltung finden. Ein erster Schritt könnte auch sein, die eigenen Mitarbeiter einfach einmal zu fragen, was ihnen im Beruf wichtig ist und was sie sich auch von ihrer Führungskraft wünschen.
„Aus meiner Sicht ist Geld auf Dauer kein gutes Bindungsinstrument. Lieber auf die Währung „Wertschätzung“ setzen, die ist kostenlos, aber nicht umsonst.“
Dr. Bernd Slaghuis, Karrierecoach aus Köln
Welche Rolle spielen Ihrer Meinung nach Hierarchien? Sind sie sinnvoll oder gehören sie abgeschafft?
Ich sehe in der Karriereberatung, dass es egal ist, wie das Organigramm einer Firma aussieht. Ich kenne Unternehmen, in denen es sehr hierarchisch zugeht und das wunderbar funktioniert und alle sich wohlfühlen. Das trifft aber genauso oft auf flache Hierarchien zu, wir kennen ja einige Beispiele aus der Presse. Für mich ergibt sich ein schönes Bild – egal unter welchen Hierarchiebedingungen –, wenn ein Chef oder die Team-Leaderin an der Seite der Mitarbeitenden steht. Die Führungskraft nimmt zwar immer noch eine Sonderrolle ein, steht also nicht mittendrin, weil natürlich auch mal nicht-demokratische Entscheidungen getroffen werden müssen, fungiert aber als Sparringspartner für das Team.
Welche Rolle spielt Geld in puncto Mitarbeiterbindung?
Das Geld spielt schon eine wichtige Rolle, jeder Mensch möchte einen gewissen Lebensstandard halten, hat vielleicht ein Haus abzubezahlen oder muss eine Familie ernähren. Aber wenn es wirklich um eine Entscheidung geht, ob Unternehmen A oder B, fallen 5.000 Euro mehr oder weniger Jahresgehalt oft nicht ins Gewicht. Die Aufgabe an sich, das Umfeld, die Führung, und die Sympathie im Vorstellungsgespräch, das sind die entscheidenden Kriterien. Es hält sich hartnäckig die Meinung, man könne mit Geld Mitarbeitende halten. Ich habe da meine Zweifel, da ich hier manchmal Ratsuchende im Coaching sitzen habe, die ihr Gehalt als „Schmerzensgeld“ betiteln, die sagen, ich verdiene 80.000 Euro im Jahr, habe aber jeden Morgen Bauchschmerzen und es knallt jeden Tag zwischen meinem Chef und mir. Aus meiner Sicht ist Geld auf Dauer kein gutes Bindungsinstrument. Lieber auf die Währung „Wertschätzung“ setzen, die ist kostenlos, aber nicht umsonst.