Wählen Sie den richtigen Online-Kanal
Die Corona-Pandemie hat unsere Arbeitswelt gehörig durcheinandergewirbelt – auch die Personalbeschaffung. Wer glaubt, es würde in dieser Situation genügen, Bewerbungsgespräche, die sonst Face-to-Face erfolgen, einfach per Skype oder Zoom zu führen, erliegt einer fatalen Fehleinschätzung, denn die Herausforderung ist größer, als es den Anschein hat.
Von Dr. Irving Wolther
„Wer vor der Pandemie nicht online rekrutiert hat, der hat das vor der Pandemie schon schlecht gemacht“, konstatiert Robindro Ullah, Geschäftsführer des Marktforschungsinstituts Trendence, das jedes Jahr etwa 150.000 Menschen zu verschiedensten Themen rund um den Arbeitsmarkt befragt und auch spannende Zahlen für Architekten und Bauingenieure liefert. So ist die Bereitschaft, zu einem neuen Arbeitgeber zu wechseln, bei den Ingenieuren dramatisch gestiegen. Gleichzeitig sind die Gehaltserwartungen deutlich gesunken. Für die Suche nach neuen Mitarbeitern in diesem Segment könnte es also keinen besseren Zeitpunkt geben.
Dies betrifft allerdings nur erfahrenes Personal, denn unter den Berufsanfängern hat die Corona-Pandemie für extreme Verunsicherung gesorgt, weiß Ullah: „Viele Unternehmen setzen bei der Rekrutierung von Nachwuchskräften auf klassische Karrieremessen an Hochschulen, von denen 2020 keine stattgefunden hat. Damit ist einer der wichtigsten Kanäle, die Hochschule als Dreh- und Angelpunkt solcher Aktivitäten, weggefallen.“ Auch die Möglichkeiten für ein Praktikum, das aus Sicht der Studierenden eines der zentralen Instrumente ist, um einen künftigen Arbeitgeber auszuwählen, sind von heute auf morgen weggebrochen. Anders als erwartet, hätten die jungen, online-affinen Absolventen ihre Aufmerksamkeit stattdessen nicht auf die virtuellen Jobmessen gerichtet, die von den Unternehmen eilig ins Netz gestellt wurden, sondern auf andere Kanäle wie Stellenbörsen oder Karriereseiten verlegt.
„Jeder zweite Bewerber achtet jetzt darauf, dass sein zukünftiger Job
systemrelevant ist. Damit gehört der Bauwirtschaft in jedem
Fall die Zukunft.“
Lieber die gute alte E‑Mail
Tatsächlich stehen viele Befragte, insbesondere solche mit akademischem Hintergrund, dem Einsatz solcher automatisierten Systeme, die mithilfe künstlicher Intelligenz eine Vorauswahl unter den Bewerbern treffen, durchaus wohlwollend gegenüber – auch weil sie für Transparenz und Objektivität stehen, die den Personalverantwortlichen oft nicht zugetraut werden. Je näher es dann in Richtung eines möglichen Arbeitsvertrags geht, desto mehr Wert wird allerdings auf ein persönliches Gespräch gelegt. Das erweist sich im Falle eines Online-Interviews als Herausforderung: „Viele Personaler tun sich schwer, im Videogespräch herauszufinden, ob der Bewerber zur Kultur des Unternehmens passt“, weiß Ullah. Das mag auch daran liegen, dass häufig die Routine in Sachen Videokommunikation fehlt, denn von den durch Trendence befragten Ingenieuren gaben 86 % an, in der Pandemie die gute, alte E‑Mail als Kommunikationsmittel zu bevorzugen, während gerade einmal 40 % auf Skype for Business zurückgreifen.
Fünf Schritte zum erfolgreichen e‑Recruitment
Online-Aufmerksamkeit erzeugen: Wer sich bisher noch keine Gedanken über seine Online-Ansprache gemacht hat, sollte sich schleunigst mit einem Beratungsunternehmen zusammensetzen. Wichtig ist die richtige Zielgruppendefinition: Wen möchte ich erreichen? Unter Umständen lohnen sich Performance-orientierte Stellenanzeigen, bei denen nur Kosten entstehen, wenn die Anzeige geklickt wurde.
Mobile Karriereseite einrichten: Nicht nur in Pandemiezeiten ist eine für mobile Endgeräte optimierte Karriereseite ein absolutes Muss. Gerade kleinere Unternehmen können dies oft nicht in Eigenarbeit leisten. Der finanzielle Aufwand für die Beauftragung einer Agentur hält sich jedoch in Grenzen und das Ergebnis ist jeden Cent wert.
e‑Recruiting Software implementieren: Vor dem Hintergrund der DSGVO gehören automatisierte Bewerbungstools mittlerweile zum Standard. Natürlich kann man auch ohne ein solches System DSGVO-konform arbeiten, aber es erleichtert die einzelnen Schritte enorm und sorgt für mehr Rechtssicherheit. Fragen Sie vor Anschaffung einen Datenschutzexperten. Wichtig: Das System sollte nicht nur für Bewerber nutzerfreundlich sein, sondern auch für die Personalverantwortlichen.
Mitarbeiter für e‑Recruiting fit machen: Für einen reibungslosen Übergang zum e‑Recruiting muss das eigene Personal entsprechend geschult werden. Wertvolle Unterstützung leisten Eignungsdiagnostiker im Bereich Online-Assessments. Es gibt auch jede Menge Fachliteratur zum Einlesen. Empfehlung: „E‑Recruitment und E‑Assessment“ von Uwe Konradt und Werner Sarges, erschienen bei Hogrefe.
Onboarding planen: Um den online ausgewählten Bewerbern den Einstieg zu erleichtern, sollten auch Online-Möglichkeiten eingeplant werden, um das Unternehmen und die Kollegen vorab näher kennenzulernen. Viele interne Kommunikationstools bieten hierzu kleine Add-ons, mit denen man beispielsweise nach dem Zufallsprinzip künftige Kolleginnen und Kollegen zum gemeinsamen (virtuellen) Mittagessen treffen kann.
Weiterführende Informationen bietet der Recrutainment-Blog unter blog.recrutainment.de zu vielen Fragen rund ums Online-Recruiting.
Tools allein helfen nicht
Als Richtschnur für die korrekte Durchführung solcher Video-Bewerbungsgespräche definiert die DIN SPEC PAS 91426 seit August 2020 Qualitätsanforderungen für videogestützte Methoden der Personalauswahl. Schwieriger als das Online-Bewerbungsgespräch ist es in Zeiten der Pandemie allerdings, die ausgewählten Kandidaten vernünftig in das Unternehmen einzugliedern, ohne sie ins kalte Wasser zu werfen. Auch dafür gibt es Tools, doch Ullah warnt: „Tools helfen nicht, wenn Sie sich nicht schon im Vorfeld überlegt haben, wie Sie die Leute abholen und online Eindrücke vom Unternehmen vermitteln können.“
Rückblickend ist Robindro Ullah der Auffassung, dass sich durch die Pandemie in Sachen professioneller Mitarbeitergewinnung gar nicht so viel verändert hat – sofern man vorher schon online vernünftig aufgestellt war: „Vielleicht sind die Leute jetzt mehr auf LinkedIn und Xing aktiv, aber ansonsten haben die Daten keine großen Überraschungen geliefert“, fasst der Recruiting-Experte zusammen. Bis auf eines: Jeder zweite Bewerber achtet jetzt darauf, dass sein zukünftiger Job systemrelevant ist. Damit gehört der Bauwirtschaft in jedem Fall die Zukunft.