Interview: Bauleitung
Der Diplom-Ingenieur Christian Wagner ist seit über zehn Jahren als Bauleiter tätig, derzeit arbeitet er in einem mittelständischen Roh- und Fertigteilbauunternehmen in München. Wir sprachen mit ihm über einen abwechslungsreichen Beruf, der starke Nerven erfordert.

Herr Wagner, sind Sie zufrieden mit Ihrer Berufswahl?
Christian Wagner: Ja, im Großen und Ganzen bin ich sehr zufrieden. Ein Bürojob wäre nicht das Richtige für mich gewesen, ich habe schon immer gerne draußen auf dem Bau gearbeitet. Nach einer Ausbildung als Zimmerer war ich ein Jahr lang in einer Holzbaufirma mit Hauptgeschäftsfeld Denkmalpflege tätig. Während meines Bauingenieurstudiums an der FH Würzburg habe ich weitere Erfahrungen in der Kalkulation und in der Bauleitung gesammelt. So lernt man das Umfeld sehr gut kennen; und da ist mir schnell klar geworden, dass der Beruf gut zu mir passt.
Was gefällt Ihnen an Ihrer Tätigkeit besonders gut?
Christian Wagner: Es fühlt sich einfach gut an, wenn man ein fertiges Bauwerk betrachtet und weiß, dass man mit seiner Arbeit zu seiner Entstehung beigetragen hat. Außerdem ist Bauleitung ein sehr abwechslungsreicher Beruf. Die Teams innerhalb des Unternehmens wechseln mit jedem neuen Projekt, das heißt, der Vorgesetzte, der Polier und auch die Mitarbeiter auf dem Bau sind in der Regel nicht gleich. Ich persönlich finde es interessant, Menschen immer wieder neu einschätzen zu müssen, natürlich kann das auch anstrengend sein. Was mir außerdem gut gefällt, sind die immer neuen Projekte, mit denen ich mich beschäftige. In einem Jahr ist es der Wohnungsbau, im nächsten Jahr geht es um Industriebau. Für jeden Bereich gelten eigene, ganz spezielle Anforderungen. Das kann die Montage betreffen, aber auch die Logistik. Selbst bei Tätigkeiten, die sich wiederholen, sind eigene Ideen gefordert, um Arbeitsabläufe effizienter zu gestalten. Ein besonders schönes Gefühl ist es, wenn man eine wirklich kniffelige Situation gemeistert hat, bei der zuerst gar kein Ausweg in Sicht war und für die man dann – meist gemeinsam mit seinen Kollegen – eine Lösung findet.
Welche Kehrseiten bringt der Beruf mit sich?
Christian Wagner: Bauleitung erfordert ein hohes Maß an Engagement, ein Zwölf-Stunden-Tag ist keine Seltenheit. Wem geregelte Arbeitszeiten wichtig sind, der sollte sich lieber für einen anderen Beruf entscheiden. Bauleiter brauchen starke Nerven und dürfen sich, wenn Probleme auftreten, nicht so schnell aus der Ruhe bringen lassen. Und man muss die Baubranche mit ihren Eigenheiten einfach mögen.
Was meinen Sie damit? Den rauen Umgangston in der Baubranche?
Christian Wagner: Nein – der viel zitierte raue Ton ist nach meinen Erfahrungen ein Klischee. Wie in anderen Branchen auch gibt es sicherlich Meinungsverschiedenheiten, die aber in der Regel sachlich und mit den gängigen Höflichkeitsregeln diskutiert werden. Wie die Baubranche tickt, lässt sich nicht in Worte fassen. Das muss jeder selbst herausfinden.
Worin genau besteht Ihre Aufgabe als Bauleiter?
Christian Wagner: Oberstes Ziel ist es, ein Projekt innerhalb einer vorgegebenen Zeit so umzusetzen, dass für das Bauunternehmen unterm Strich Gewinn übrig bleibt. Im Grunde genommen bin ich ein Unternehmer im Unternehmen, denn jede Baustelle wird betriebswirtschaftlich gesehen eigenständig bewertet. Die Leistung eines Bauleiters hängt entscheidend von einer kostendeckenden Arbeitsweise ab. Ich bin in erster Linie dafür verantwortlich, die jeweils geeigneten Arbeitsverfahren auszuwählen. Natürlich stehe ich nicht allein vor dieser Aufgabe, ich bin Teil eines großen Teams. Schon bei der Kalkulation wird überlegt, mit welchen technischen Mitteln gewinnbringend gearbeitet werden kann. Eine meiner Hauptaufgaben besteht darin, anhand des Leistungsverzeichnisses mit entsprechend hinterlegten Preisen und der Baupläne die Arbeitsabläufe vorzubereiten; dazu gehören Einteilung der Arbeitskräfte, Materialbestellung und Terminkoordination. Ich bin aber auch für die Abrechnung oder Nachtragsverhandlungen mit dem Bauherrn zuständig.
Wie sieht ein typischer Arbeitstag bei Ihnen aus?
Christian Wagner: Bauleiter fangen in der Regel früh an, meistens schließe ich gegen 7 Uhr mein Bauleiterbüro auf, das sich – zumindest innerhalb unseres Unternehmens – immer direkt auf der Baustelle befindet. Das ist aber auch schon das einzig Typische an meinem Arbeitsalltag, kein Tag ist wie der andere. Das liegt ganz einfach daran, dass mit jeder Phase des Projektes immer wieder neue, wechselnde Aufgaben zu erledigen sind. Steht eine Baustelle ganz am Anfang, konzentriere ich mich auf die Arbeitsvorbereitung. Während der Bauphase muss ich mich eher um den reibungslosen Ablauf der Arbeiten kümmern. Dazu gehört auch, für meine Mitarbeiter immer ansprechbar zu sein. Es gibt Tage, an denen ich sehr oft raus muss, um Probleme zu lösen. Weiterhin müssen Aufmaße erstellt und entsprechend abgerechnet werden, Nachträge für nicht im Leistungsverzeichnis aufgeführte Arbeiten gestellt werden oder es finden Besprechungen mit dem Bauherrn statt.
Was muss ein guter Bauleiter können?
Christian Wagner: Bauleiter müssen mit den gängigen technischen Regelwerken, wie der VOB, Teil B, vertraut sein. Weiterhin ist die Fähigkeit, vorausschauend zu handeln, von großem Vorteil. Das lässt sich am Beispiel „Lagerung von Baumaterialien“ gut erklären: Es ist wenig sinnvoll, den gesamten Baustahl, den man für ein Projekt benötigt, von Anfang an vorzuhalten. Das liegt nicht nur an den begrenzten Lagerkapazitäten auf der Baustelle. Auch die Kosten müssen vorgestreckt werden, gegenüber dem Bauherrn können jedoch nur Materialien geltend gemacht werden, die bereits eingebaut wurden. Eine Just-in-time-Strategie ist demnach wirtschaftlich, erfordert aber auch Augenmaß, um im entscheidenden Moment das benötigte Material vor Ort zu haben. Was außerdem wichtig ist: Wer als Bauleiter arbeiten möchte, sollte niemanden von oben herab behandeln. Das kommt erstens nicht gut an und ist zweitens auch nicht gerechtfertigt. Bauleiter sind ohne ihren Polier, der zwar von der Hierarchie her untergeordnet ist, aufgeschmissen. Auch von den Leuten, die bei Wind und Wetter draußen arbeiten, wird viel verlangt. Mangelnder Respekt vor den Leistungen anderer wird sich irgendwann rächen.
Gibt es Projekte, an die Sie sich besonders gern erinnern?
Christian Wagner: Ich bin stolz auf ein Projekt, das wir im Auftrag eines namhaften
Automobilherstellers durchgeführt haben. Der Auftrag bestand darin, einen 180 Meter langen und 50 Meter breiten Fahrzeugspeicher für Neuwagen zu bauen. Es war im Grunde genommen ein großes Parkdeck mit zwei Parkebenen und Erdgeschoss mit einem großen Präsentations- und Verkaufsraum. Ursprünglich waren die oberen Geschosse als Stahlkonstruktion geplant, unsere Firma entwickelte jedoch als Sondervorschlag eine Fertigteillösung. Wir haben vorgespannte Fertigteile mit Spannweiten von ca. 15–16 m verbaut. Die Montageplanung war sehr anspruchsvoll, ich habe tagelang über Montageplänen gesessen und mir in enger Zusammenarbeit mit dem Mobilkranverleiher effiziente Montageabläufe ausgedacht. Es war schon beeindruckend, wie mit 400-Tonnen-Autokranen die Fertigteile eingebaut wurden, wie teilweise die Krane mit 80 m hohen Gittermastspitzen Gewichte von 15 t bis zu 70 m weit bewegt haben. Ob ein Projekt Spaß macht oder nicht, hängt auch ganz entscheidend davon ab, mit wem man zusammenarbeitet. Bei diesem Projekt haben alle Projektbeteiligten sehr gut harmoniert, alle haben an einem Strang gezogen, auch das Verhältnis zum Bauherrn stimmte von Anfang an. Unter diesen Voraussetzungen macht die Arbeit richtig Spaß und es macht einem weniger aus, wenn es mal stressiger zugeht oder wenn man merkt, dass es schon wieder acht Uhr abends geworden ist. (Interview: Ute Schroeter)