The Future ist now
VR, AR, MR – die Vielfalt der virtuellen Realität oder wie Architekten und Planer (endlich) den Mehrwert ihrer 3D-Modelle für sich entdecken.
von Linda Pezzei
Auch wenn die Digitalisierung in anderen Bereichen unseres Alltags dem gewünschten Fortschritt noch weit hinterherhinken mag, in der Architektur und Baubranche ist sie längst zur Regel geworden. Musste man vor 15 Jahren zu Beginn des Studiums noch von Hand zeichnen, hat sich das Entwerfen und Planen am Reißbrett mittlerweile zum romantischen Klischeebild des typischen Architekten gewandelt. Mithilfe von CAD (Computer-Aided Design)-Programmen und BIM (Building Information Modeling) lassen sich selbst die komplexesten Gebäudestrukturen in relativ kurzer Zeit zu Papier bringen – und das Geplante bleibt dabei nicht nur zu jedem Zeitpunkt maximal flexibel, es können auch mehrere Beteiligte zeitgleich an einem Projekt arbeiten.
Das virtuelle 3D-Objekt ist dabei viel mehr als das digitale Pendant zum Pappmaché-Modell von gestern. Es dient als Grundlage für Visualisierungen, erleichtert aber auch den Planungsalltag von Architekten und Ingenieuren (Stichwort Kollisionsprüfung, Tageslichtsimulation oder Raumgefühl) und ermöglicht die Zusammenarbeit mehrerer Beteiligter an einem Modell in Echtzeit. Dabei lässt sich ein solches 3D-Modell auch beliebig zweidimensional auf Papier bringen – und wird eine Wand verschoben, reicht ein Klick zum Aktualisieren hunderter Pläne. Ein enormer Fortschritt. Doch wie neu ist das alles überhaupt?
Foto: © MEISSL architects
Bei MEISSL architects arbeitet
man seit Jahren mit BIM und plant alle Projekte komplett in 3D.
Tatsächlich kommt die 3D-Modellierung in der Architektur bereits seit gut 25 Jahren standardmäßig zum Einsatz (und das erste VR-Produkt inklusive Headset wurde – nebenbei bemerkt – schon 1968 vorgestellt). So spektakuläre Bauwerke wie die von Frank Gehry wären sonst wohl kaum zu realisieren gewesen – oder unbezahlbar. Die Grundlage, Gebäude bereits in der Planungsphase sozusagen begehen zu können, schlummert also seit langem in den Tiefen zahlreicher Datenspeicher. Was im Gaming-Bereich schon wieder veraltet scheint, wird jetzt zum neuen Hype der Baubranche. Das mag auch daran liegen, dass die technischen Voraussetzungen mittlerweile für alle Akteure so intuitiv und kostengünstig zugänglich sind wie nie. Man muss heute nicht mehr adoleszenter Technik-Nerd sein und sich die neuesten Gadgets aus Japan bestellen, um mitreden zu können – ein Griff in die Hosentasche zum eigenen Smartphone reicht.
„Mithilfe einer VR-Brille tauchen wir komplett in eine andere Welt ein, sitzen beispielsweise am Besprechungstisch unseres noch nicht gebauten Boardrooms oder erforschen staunend jeden Winkel unseres zukünftigen Eigenheims.“
Hochauflösende Bilder lassen sich dieser Tage an jedem beliebigen Ort und egal zu welcher Zeit mittels Smartphone oder Tablet via sogenannte Clouds und Sharing-Dienste problemlos teilen und betrachten. Mithilfe einer VR-Brille kann man dann direkt in die gewünschte virtuelle Welt eintauchen. Dabei bedarf es nicht unbedingt eines der teuren Built-in-Modelle wie derjenigen von Google, Samsung, Microsoft und Co – die günstige Alternative (aus Plastik), in die das eigene Smartphone eingespannt werden kann, kostet nur wenige Euro. Eine VR-Brille lässt sich aber auch ganz einfach aus Karton selber basteln. Die Kosten für die Hardware sind also längst kein entscheidender Punkt mehr. Mangelt es vielleicht noch am Verständnis der Technologie?
VR, AR und MR
Die verschiedenen „Realitäten“ ähneln sich zwar, bieten allerdings unterschiedliche Funktionen und Anwendungsmöglichkeiten. VR (Virtual Reality) ist das, womit wir gemeinhin diese (neue) Technologie assoziieren: Mithilfe einer VR-Brille tauchen wir komplett in eine andere Welt ein, sitzen beispielsweise am Besprechungstisch unseres noch nicht gebauten Boardrooms oder erforschen staunend jeden Winkel unseres zukünftigen Eigenheims. Im Gegensatz dazu lassen sich mittels AR (Augmented Reality) Daten oder Informationen in der realen Welt darstellen (bekannt durch den Spiele-Klassiker Pokémon Go – der übrigens 2016 veröffentlicht wurde). AR kommt aber auch im professionellen Bereich, im Ingenieurwesen oder in der Medizin, regelmäßig zum Einsatz. MR (Mixed Reality) verknüpft – wie der Name schon vermuten lässt – AR und VR. Virtuelle Objekte können dabei in der realen Welt abgebildet werden. Personen, die sich an verschiedenen Orten befinden, können sich so virtuell vernetzen und gemeinsam an einem realen Ort an einem fiktiven Projekt arbeiten.
VR ist für Architekten und Ingenieure aber nicht nur ein netter Marketing-Gag, um den Kunden durch eine neue Spielerei zu beeindrucken. Kommunikation und Abstimmungen können auf diese Weise vereinfacht werden. Treffen müssen nicht mehr unbedingt an einem Ort stattfinden und Missverständnisse, die auf einer falschen Interpretation der gewählten Darstellungsart beruhen, lassen sich minimieren. Gleichzeitig bekommt auch der Planer ein besseres Gefühl für das eigene Projekt, vage Vorstellungen lassen sich zielgerichtet am Modell simulieren und überprüfen, Oberflächen können in Sekundenschnelle ausgetauscht und verglichen werden. Und auch die Zusammenarbeit mit den Fachplanern und Ausführenden auf der Baustelle kann mittels VR erheblich erleichtert werden. Weniger Interpretationsspielraum, mehr Klarheit für alle.
Titelbild: Virtua73 / Adobe Stock